Mit Urteil vom 19.12.2019 in den Rechtsachen C-453/2018 und C-494/2018, hat der Europäische Gerichtshof (nachfolgend: EuGH) die Auslegung von Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, sowie von Art. 6 und Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, geklärt.

In den vorliegenden Fällen schloss die Firma Bondora, mit Sitz in Estland, zwei Darlehnsverträge mit Verbrauchern und stellte danach zwei Anträge auf Erlass europäischer Mahnbescheide beim Gericht erster Instanz in Vigo (Spanien) und beim Gericht erster Instanz in Barcelona (Spanien). Den Anträgen fügte sie den (Verbraucher)Vertrag nicht bei.

Da es sich um Verträge zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher handelte, verlangten beide Gerichte die Vorlegung, seitens des Gläubigers, der Angaben und Unterlagen zur Begründung der Forderung, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln gemäß Art. 815 der spanischen Zivilprozessordnung, von Amts wegen zu prüfen.

Die Firma Bondora weigerte sich aber diese Unterlagen beizufügen, da der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls gemäß der 23. Schlussbestimmung der LEC (Spanische Zivilprozessordnung), welche die Maßnahmen zur Anwendung der Verordnung Nr. 1896/2006 in Spanien eingeführt hat, gestellt wurde, „ohne dass es erforderlich wäre, jegliche Unterlagen beizubringen; gegebenenfalls beigebrachte Unterlagen werden für unzulässig erklärt“.

Die spanischen Gerichte haben dabei dem EuGH jeweils zwei und vier Rechtsfragen zur Vorabentscheidung bezüglich der Auslegung von Art. 7 der Verordnung Nr. 1896/2006, sowie von Art. 6 und 7 der Richtlinie 93/13 unterstellt. Insbesondere haben die Gerichte den EuGH ersucht aufzuklären, ob diese Normen in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof und im Licht von Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dem Richter ermöglichen, im Rahmen eines europäischen Mahnverfahrens, vom Gläubiger weitere Angaben bzw. Unterlagen zu verlangen, um von Amts wegen die Missbräuchlichkeit der Vertragsklausen, die der Gläubiger zur Begründung seiner Forderung geltend macht, prüfen zu können.

Vorab hat der EuGH festgestellt, dass eine grenzüberschreitende Rechtssache im Sinne der Verordnung Nr. 1896/2006 vorliegt, da die Firma Bondora seinen Sitz in Estland hat. Daher kommt die Verordnung Nr. 1896/2006 zur Anwendung.

Es stellt sich dann die Frage, ob ein Richter, welcher sich mit einem Antrag auf Erlass eines europäischen Mahnbescheides befasst, den Anforderungen gemäß Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, im Licht der Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, unterliegt.

Insoweit weist der EuGH darauf hin, dass diese Problematik im Rahmen eines nationalen Mahnverfahrens vom EuGH schon behandelt worden ist. Diesbezüglich hat der EuGH entschieden, dass „Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, die es ermöglicht, einen Zahlungsbefehl zu erlassen, wenn das mit einem Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls befasste Gericht nicht die mögliche Missbräuchlichkeit der Klauseln des betreffenden Vertrags prüfen darf und es aufgrund der Modalitäten für die Ausübung des Rechts, Widerspruch gegen einen solchen Zahlungsbefehl einzulegen, nicht möglich ist, die Einhaltung der dem Verbraucher nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte zu gewährleisten.“

Nach dem EuGH muss dies auch für ein europäisches Mahnverfahren gelten.

Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung 1896/2006 muss ein Gläubiger seinen Antrag auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls „unter Verwendung des Formblatts A gemäß Anhang I“ der Verordnung stellen.

Der Abs. 2 von Art. 7 listet die Einzelheiten auf, welche der Antrag beinhalten muss. Insbesondere muss er nach Buchstabe d „den Streitgegenstand einschließlich einer Beschreibung des Sachverhalts, der der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsforderung zugrunde liegt“, und nach Buchstabe e „eine Bezeichnung der Beweise, die zur Begründung der Forderung herangezogen werden“, beinhalten.

In Abschnitt 10 des Formblatts A kann der Antragsteller vorhandene Beweismittel (wie z.B. Dokumente), auf die sich die Forderung basiert, angeben und beschreiben. In Abschnitt 11 dieses Formblatts kann er seine „weitere Erklärungen und Angaben“ hinzufügen. Das heißt, dass er die Möglichkeit hat, weitere Angaben über die ausdrücklich in den vorangehenden Abschnitten des Formblatts A verlangten hinaus an dieser Stelle hinzuzufügen. Dadurch kann der Gläubiger mittels des Formblatts A „weitere Angaben hinsichtlich der zur Begründung der Forderung geltend gemachten Klauseln machen, die u. a. in der Wiedergabe des vollständigen Vertrags oder in der Vorlage einer Kopie des Vertrags bestehen.

Wenn die Voraussetzungen von Art. 7 nicht erfüllt sind, räumt der Richter nach Art. 9 Abs. 1 dem Antragsteller unter Verwendung des Formblatts B, gemäß Anhang II, die Möglichkeit ein, den Antrag zu vervollständigen oder zu berichtigen.

„Daher muss das befasste Gericht gemäß Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1896/200 vom Gläubiger weitere Angaben in Bezug auf die Klauseln, die zur Begründung seiner Forderung geltend gemacht werden, wie etwa die Wiedergabe des gesamten Vertrags oder die Vorlage eine Kopie des Vertrags, verlangen können, um die etwaige Missbräuchlichkeit solcher Klauseln gemäß Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 prüfen zu können. […] Eine andere Auslegung könnte es den Gläubigern ermöglichen, die Anforderungen, die sich aus der Richtlinie 93/13 und der Art. 38 der Charta ergeben, zu umgehen.“

Dies vorausgeschickt, hat der EuGH Folgendes ausgesprochen: Art. 7 Abs. 2 Buchst. d und e der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 […] zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, sowie Art. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG […] über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind in Ihrer Auslegung durch den Gerichtshof und im Licht von Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie es einem „Gericht“ im Sinne dieser Verordnung, das im Rahmen eines Europäischen Mahnverfahrens befasst wird, ermöglichen, vom Gläubiger weitere Angaben zu den Vertragsklauseln, die zur Begründung der fraglichen Forderung geltend gemacht werden, zu verlangen, um von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln zu prüfen, und dass sie folglich nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die zu diesem Zweck beigebrachte ergänzende Unterlagen für unzulässig erklären.

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