Am 21. März 2023 fällte EuGH ein wichtiges Urteil zum Thema Abgasmanipulationen an Fahrzeugen und zur Durchsetzbarkeit des Entschädigungsanspruchs von einzelnen Käufern.

Die vorliegende Rechtssache, die Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts Ravensburg ist, geht auf eine Schadensersatzklage einer Privatperson gegen die Mercedes-Benz Group AG zurück. Der Kläger erwarb im Jahr 2014 ein Dieselfahrzeug, das mit einer Software ausgestattet war, die die Rückführung von Schadstoffgasen in Abhängigkeit von der Außentemperatur verringern konnte (sog. Thermofenster). Dabei wird die Abgasrückführungsrate bei Unterschreiten einer bestimmten Temperaturschwelle reduziert, was jedoch zu einem Anstieg von Nox-Emissionen führt. Diese Einrichtung entspricht jedoch nicht den Anforderungen des EU-Rechts.

Die Bestimmungen, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wurde, sind insbesondere in der Richtlinie 2007/46/EG zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) sowie in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen enthalten. Letztere sieht in Art. 5 Abs. 2 das Verbot von unzulässigen Abschalteinrichtungen vor.

An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass mit der Verordnung (EU) Nr. 858/2018 wurde die Richtlinie 2007/46/EG aufgehoben und die Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und Nr. 595/2009 geändert.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass das Thermofenster des klägerischen Fahrzeugs ein unzulässiges Manipulationssystem darstellt. Es sei geeignet, die Wirksamkeit der Abgasreinigungssysteme auch bei normalem Betrieb und normaler Nutzung des Fahrzeugs zu verringern. Gemäß § 832 Abs. 2 BGB könnte dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen. Dies setzt allerdings die Verletzung eines Gesetzes zum Schutz Dritter voraus.

Aus diesem Grund legte das vorlegende Gericht dem Europäischen Gerichtshof – ohne den Rechtsstreit zuvor dem Spruchkörper für Zivilsachen gemäß § 348 Abs. 3 ZPO vorzulegen – folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

“1) Haben Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch die Zielrichtung, die Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen zu schützen?

Wenn ja:

2) Zählt dazu auch das Interesse eines individuellen Fahrzeugerwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht konform ist, insbesondere kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist?

(…) 5) Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn sich im nationalen Recht der Fahrzeugerwerber einen Nutzungsvorteil für die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen muss, wenn er vom Hersteller im Wege des deliktischen Schadensersatzes die Erstattung des Kaufpreises eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verkehr gebrachten Fahrzeugs Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs erlangt?

Wenn nein:

6) Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn dieser Nutzungsvorteil sich am vollen Kaufpreis bemisst, ohne dass ein Abzug wegen des aus der Ausstattung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierenden Minderwerts des Fahrzeugs und/oder im Hinblick auf die vom Erwerber ungewollte Nutzung eines nicht unionsrechtskonformen Fahrzeugs abgezogen wird?

Unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefragen 1 bis 6:

7) Ist 3 348 Abs. 3 ZPO, soweit diese Regelung sich auch auf den Erlass von Vorlagebeschlüssen gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV bezieht, unvereinbar mit der Vorlagebefugnis der nationalen Gerichte gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV und daher auf den Erlass von Vorlagebeschlüssen nicht anzuwenden?“

Die siebte Frage, die im Wege der Vorabentscheidung geprüft wird, wurde für unzulässig erklärt. Das vorlegende Gericht hatte nicht dargelegt, warum die beantragte Auslegung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich wäre. In jedem Fall bekräftigt der EuGH einige grundlegende Grundsätze der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten. Grundsätzlich sind allein diese für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zuständig sind, da ihnen der jeweilige Rechtsstreit vorgelegt wurde und sie dementsprechend die Verantwortung für die zu treffende Entscheidung tragen, da die Relevanz von Fragen des Unionsrechts vermutet wird.

Vor der Beantwortung der ersten beiden Vorlagefragen befasst sich der EuGH in seiner Entscheidung ausführlich mit dem Begriff der „Abschalteinrichtung“ (Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007) und der Konfigurierbarkeit der Ausnahme vom Verbot in Art. 5 Teil 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 715/2007.

Die im Fahrzeug des Klägers installierte Software sieht einen Temperaturbereich vor, in dem die Abgasrückführung nur dann voll wirksam ist, wenn die Außentemperatur einen bestimmten Schwellenwert nicht unterschreitet: Die Abgasrückführungsrate und damit die Wirksamkeit der Abgasreinigungsanlage werden bereits ab einer Außentemperatur von über 0 Grad Celsius verringert, „d.h. einer Temperatur, die zu den Bedingungen zähle, die im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien“.

Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verbietet die Verwendung solcher Abschalteinrichtungen, die die Wirksamkeit von Emissionsminderungssystemen verringern. Gleichzeitig werden jedoch bestimmte Ausnahmen anerkannt – darunter diejenige in Buchstabe a), wonach „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten„. Diese Ausnahme ist nach Ansicht des EuGH aber restriktiv auszulegen: Die Aktivierung der Abschalteinrichtung ist nämlich auf eine Temperatur festgelegt, die den „Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“ im Sinne von Art. 3 Abs. 10 der Verordnung Nr. 715/07 entspricht.

Der Europäische Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass eine Einrichtung wie die streitgegenständliche nicht unter die oben genannte Ausnahme fällt, weist aber darauf hin, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die für die konkrete Anwendung der dargelegten Grundsätze erforderlichen Tatsachen zu ermitteln.

Zu den ersten beiden Fragen nach dem Schutzzweck der streitigen Bestimmungen stellt der Europäische Gerichtshof fest, dass diese das allgemeines Ziel der Gewährleistung eines hohen Umweltschutzniveaus verfolgen.

Der EuGH erkennt aber auch an, dass die Bestimmungen eine Typgenehmigung für Fahrzeuge vorschreiben, die „nur erteilt werden kann, wenn der fragliche Fahrzeugtyp den Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007, insbesondere denen über Emission, zu denen Art. 5 dieser Verordnung gehört, entspricht“. Die Hersteller sind darüber hinaus auch verpflichtet, dem einzelnen Käufer eines Fahrzeugs eine Übereinstimmungsbescheinigung auszuhändigen, die für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs zwingend erforderlich ist.

Die Richtlinie stellt also eine „unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs her […], mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt“.

So „kann die nach Erteilung der EG-Typengenehmigung für dieses Fahrzeug entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der ein Kraftfahrzeug ausgerüstet ist, die Gültigkeit dieser Genehmigung und daran anschließende die der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der bescheinigt werden soll, dass dieses Fahrzeug, das zur Baureihe des genehmigten Typs gehört, zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entsprach, in Frage stellen“. Dementsprechend „kann diese Unzulässigkeit somit u.a. eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen“. Daraus ergibt sich also, dass die die Vorlagefragen betreffenden Bestimmungen „neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist“.

Zur fünften und zur sechsten Vorlagefrage hinsichtlich der Entschädigung eines individuellen Käufers stellt der Europäische Gerichtshof fest, dass die bezüglich der ersten beiden Vorlagefragen abgehandelten Bestimmungen aufgrund des Schutzes der spezifischen Interessen des individuellen Käufers diesem ein solches Recht darauf zuerkennen, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.

Gem. Art. 46 der Rahmenrichtlinie ist es jedoch Sache der einzelnen Staaten, Sanktionen festzulegen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Daraus folgt, dass es auch Sache der Mitgliedstaaten ist, vorzusehen, „dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist“.

Abschließend ist festzustellen, dass „eine nationale Regelung, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erlangen, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das Verbot des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität vereinbar ist. 715/2007 verstoßen hat“, und im vorliegenden Fall „ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Anrechnung des sich aus der tatsächlichen Nutzung des betreffenden Fahrzeugs ergebenden Vorteils einen angemessenen Schadensersatz für den betroffenen Käufer gewährleistet, sofern feststeht, dass dieser einen Schaden erlitten hat, der mit dem Einbau eines verbotenen Manipulationsgeräts in dieses Fahrzeug zusammenhängt“.

Daraus folgt, dass „nationale Rechtsvorschriften, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang“ stünden. Im vorliegenden Verfahren hat das vorlegende Gericht also zu prüfen, „ob die Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung des in Rede stehenden Fahrzeugs dem betreffenden Käufer eine angemessene Entschädigung gewährleistet, soweit festgestellt wird, dass diesem im Zusammenhang mit dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung […] in dieses Fahrzeug ein Schaden entstanden ist“.

Das Unionsrecht ist daher „dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedsstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegend er dem Käufer eins mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht“.

Aus den oben dargelegten Gründen hat der Europäische Gerichtshof daher entschieden wie folgt:

„1.   Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge

sind dahin auszulegen, dass

sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.

2.    Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeug tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.“

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